Die zunehmende Alterung der Gesellschaft sorgt für neue Herausforderungen. Besonders in den Industriestaaten und in China steigt das Durchschnittsalter der Bevölkerung immer weiter an. Dies setzt nicht nur die staatlichen Pensionssysteme unter Druck. Auch die Anforderungen an individuelle Pflege, Pflegeeinrichtungen und speziell für alte Menschen entwickelte oder an deren Bedürfnisse angepasste Produkte und Technologien gewinnen an Bedeutung. Ein anderer Aspekt des demografischen Wandels sind das weiterhin ungebremste Bevölkerungswachstum in den Emerging Markets und die dort zu beobachtenden Veränderungen der Einkaufsgewohnheiten.
Mag. Wolfgang Pinner
Leiter Sustainable and Responsible Investment bei der Raiffeisen KAG

Die Demografie als Bevölkerungswissenschaft beschäftigt sich statistisch und theoretisch mit der Entwicklung von Bevölkerungen und deren Strukturen. Oft liegt der Fokus dabei auf der Entwicklung der Alterspyramide einzelner Länder, welche die statistische, altersmäßige Verteilung der Bevölkerung zeigt. Charakteristische Formen der Alterspyramide sind die lineare oder klassische Pyramidenform und die Zwiebelform. Die lineare Alterspyramide basiert auf dem stetigen Abnehmen der Bevölkerungszahl je Altersgruppe mit steigendem Alter. Vielen geborenen Kindern steht eine geringe Lebenserwartung gegenüber. Diese Pyramidenform findet man heute noch in Südamerika und Indien. Um das Jahr 1890 war auch in Deutschland und Österreich diese Struktur vorherrschend. Heute ist für die Industriestaaten die Zwiebelform typisch, sie basiert auf einer niedrigen Geburtenrate und einem allmählichen Überhang älterer Menschen auf Basis einer hohen Lebenserwartung.
Eine durch die Veränderung in Lebenserwartung und Fertilität entstehende, alternde Gesellschaft zeigt durchaus nachhaltige Aspekte, da sie einem ungebremsten Bevölkerungswachstum entgegensteht. Andererseits führt eine alternde Gesellschaft potenziell zur sozialen Problematik der notwendigen Finanzierung des Lebens im Alter und den damit verbundenen höheren Kosten für das Sozialsystem. Durch das in der Mehrzahl der Industrieländer vorherrschende Umlageverfahren in der staatlichen Pensionsversicherung stehen durch demografisch bedingte höhere Sozialaufwendungen hohe Kosten an, die bei anderen zukunftsrelevanten Budgetposten – wie Bildung und Forschung – zu Engpässen führen können. Aus Umweltgesichtspunkten sind die Alterung der Gesellschaft und die geringere Fertilität wegen des weniger dynamischen Wachstums der Weltbevölkerung aus Sicht der begrenzten Ressourcen durchaus positiv zu beurteilen, wenn man von einem gleichbleibenden oder steigenden ökologischen Fußabdruck ausgeht.
Weltbevölkerung von 1950 bis 2100

In einer alternden Gesellschaft steigt die Anzahl der pflegebedürftigen Personen. Dabei ist die höhere Lebenserwartung nicht zuletzt auch dem allgemeinen medizinischen Fortschritt zu verdanken. Auch aus diesem Grund gehören die Pharma- und die Medizintechnikindustrie zu den wesentlichen Profiteuren der demografischen Veränderungen. Mit der Anzahl der im Alter zu betreuenden Personen steigt die Anzahl der benötigten Pflegeeinrichtungen und der Pflegeheime. Für die Finanzindustrie führt die zunehmende Überlastung der öffentlichen Pensionssysteme zum angenehmen Nebeneffekt, dass privates Vorsorgen oder Vorsorgesparen immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Unterschiedliche Alterspyramiden führen einerseits dazu, dass die Kalkulation von Daten zu Wertschöpfung und Wohlstand, die sich auf die Anzahl der Einwohner beziehen – wie BIP pro Kopf –, verfälscht werden. Dieselbe Verfälschung tritt in geringerem Ausmaß beispielsweise auch beim Vergleich von Deutschland und Frankreich auf, weil die Fertilitätsraten in den beiden Ländern große Unterschiede aufweisen. Eine hohe Anzahl von Kindern und jungen Menschen führt zu tendenziell geringeren Werten etwa bezüglich der Wirtschaftsleistung je Einwohner. Generell unterscheidet man in der Statistik zwischen der Gruppe der „wirtschaftlich abhängigen“ Personen, das sind Menschen bis 15 sowie über 65 Jahre, und den erwerbstätigen Personen. Wirtschaftlich abhängige Personen leisten vor allem in jungen Jahren einen geringen Beitrag zur Wertschöpfung, erwerbstätige Personen tragen über Arbeit und Sparen zur Steigerung der Wirtschaftskraft bei. Was Investments betrifft, können Pensionsvorsorgeeinrichtungen in den Industriestaaten von Geldanlagen in Ländern mit vergleichsweise „gesunden“ demografischen Strukturen profitieren. So könnte neben die durch die demografische Entwicklung ohnehin belasteten staatlichen Vorsorgesysteme eine zweite Säule treten, die über kapitalgedeckte Verfahren in Länder mit attraktiver Demografie – und damit verbunden hohem Potenzial für Wirtschaftswachstum – diversifiziert.
Altersabhängigkeitsverhältnis „wirtschaftlich abhängige Personen“, Stand 2017

Demografische Dividenden vs. Kosten
Länder mit einem wachsenden Anteil an Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung profitieren in wirtschaftlicher Hinsicht davon, dass der produktive Teil der Bevölkerung weniger wirtschaftlich abhängige Personen versorgen muss. Die Menschen können mehr konsumieren, sparen und investieren. Dieser Faktor heißt „demografische Dividende“. Eine negative demografische Dividende wird als „demografische Kosten“ bezeichnet. Vor allem in Europa und noch stärker in Japan werden in den nächsten Jahrzehnten hohe demografische Kosten aufgrund des Rückgangs der Zahl der potenziell verfügbaren Erwerbstätigen erwartet. Demografische Entwicklungen beeinflussen das Wirtschaftswachstum und das Sparverhalten der jeweiligen Länder. In den Industriestaaten könnten die geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1946 und 1965 – die sogenannten Babyboomer – zur Finanzierung des Ruhestands einen Teil ihrer Investments in verschiedensten Assetklassen realisieren und über diesen Verkauf mit der Folge eines möglichen Angebotsüberhangs die Finanzmärkte belasten. Die generell längere Lebenserwartung der Weltbevölkerung und der steigende Anteil der Senioren werden zu stark steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen führen. Davon sollten die Branchen Pharma, Biotechnologie und Gesundheit allgemein profitieren.
Auswirkungen auf den CO2-Fußabdruck
Die Demografie beschäftigt sich aber nicht nur mit der Entwicklung der Alterspyramide. Auch Faktoren wie Geschlecht, Sprachen, Wohnsituation und soziale Merkmale wie Beruf, Familienstand oder Einkommen sind Teil demografischer Analysen. Der laufend beobachtbare demografische Wandel ist auch durch Zuwanderung und Abwanderung geprägt. Interessant ist auch der ökologische Fußabdruck für verschiedene Lebensabschnitte. Emilio Zagheni, Demograf am Max-Planck-Institut in Rostock, hat diesbezüglich Untersuchungen für die USA angestellt. Die Grundaussage der Studie, die für alle entwickelten Volkswirtschaften der Welt Aussagekraft haben sollte, ist, dass die CO2-Emissionen pro Kopf in einem Alter von zehn bis sechzig Jahren kontinuierlich ansteigen und dann abnehmen. Dahinter steht das Phänomen, dass das durchschnittliche Einkommen mit dem Alter tendenziell zunimmt. Ältere Menschen leben in größeren Häusern und fahren weniger energieeffiziente Autos. Auch nehmen die konsumierten Flugkilometer mit dem Alter zu, es wird generell mehr Energie verbraucht. In der Seniorität nimmt der ökologische Fußabdruck dann wieder ab. Die Ausgaben pro Kopf werden zwar insgesamt nicht geringer, sie fließen aber stärker in den Bereich Gesundheit als in energieintensiven Konsum wie den Kauf von Kleidung oder die Reisetätigkeit.
Weltbevölkerung nach Altersklassen

Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass das weltweite Bevölkerungswachstum vorerst weiter anhalten wird, eine Trendwende ist, nach einer im Medizin-Fachblatt „The Lancet“ veröffentlichten Studie einer Gruppe von Wissenschaftlern rund um Professor Stein Emil Vollset, erst für das Jahr 2064 zu erwarten. Für die Zeit danach rechnen die Forscher mit einer rückläufigen Geburtenrate. Bis dahin führt der sich aus dem Bevölkerungswachstum ergebende Nachfrageanstieg unter anderem zu potenziell wachsenden Absatzmärkten für Konsumgüter und zu einem erhöhten Materialeinsatz, was eine gesteigerte Nachfrage nach Rohstoffen mit sich bringt. Ein anderer Trend, der zum Teil demografisch und zum Teil durch das hohe Wirtschaftswachstum bedingt ist, betrifft das Wachstum der Mittelschichten der Gesellschaften vor allem in den Emerging Markets. Auch in diesem Fall sollte sich der prognostizierte Nachfrageanstieg in einem Absatzplus für die Hersteller von langlebigen Wirtschaftsgütern niederschlagen.
Der demografische Wandel im Kontext der drei Nachhaltigkeitsdimensionen ESG:
ESG ist die englische Abkürzung für „Environment Social Governance“, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Der Begriff ist international in Unternehmen als auch in der Finanzwelt etabliert, um auszudrücken, ob und wie bei Entscheidungen von Unternehmen und der unternehmerischen Praxis sowie bei Firmenanalysen von Finanzdienstleistern ökologische und sozial-gesellschaftliche Aspekte sowie die Art der Unternehmensführung beachtet beziehungsweise bewertet werden.

E (Environment):
Aus dem für die nächsten Dekaden prognostizierten Bevölkerungswachstum ergeben sich vor allem Mengenaspekte aus einem steigenden Absatz von Produkten und Dienstleistungen, sind doch diese aus ökologischer Sicht vor allem mit problematischen quantitativen Konsequenzen verbunden. Neben der rein quantitativen Analyse könnte ein weiter wachsender durchschnittlicher ökologischer Fußabdruck der Bevölkerung das Problem weiter verschärfen. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt was die Ressourcen betrifft sind die Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie, die eine zunehmende Anzahl von Menschen ernähren müssen.

S (Social):
Die Veränderung der Demografie hin zu einer immer älter werdenden Gesellschaft führt zu neuen Herausforderungen in der Finanzierung des Sozialstaates. Höhere Aufwendungen für Sozialkosten könnten bei gleichbleibenden Finanzierungsstrukturen zu potenziell niedrigeren Leistungen führen.

G (Governance):
Aus Governance-Sicht ist die Frage zu erörtern, wer letztendlich die Kosten der Alterung der Gesellschaft zu tragen hat. Dabei sind privat und öffentlich finanzierte Modelle ebenso zu diskutieren wie die Zukunftsfähigkeit einer Finanzierung des Sozialstaates aus den laufenden staatlichen Budgets.
Fazit: Für Raiffeisen Capital Management ist die demografische Entwicklung ein wesentliches Zukunftsthema. Der Sektor Gesundheit und insbesondere Medizintechnik ist in den Investments von Raiffeisen strukturell übergewichtet.
Erfahren Sie mehr in unserem Nachhaltigkeitsmagazin NACHHALTIG INVESTIEREN – Ausgabe 31 zum Thema Demografischer Wandel.