Impfstoffentwicklung 2.0: Der Turbo

Die Corona-Krise hat uns fest im Griff und ein Ende scheint schwer absehbar. Um die Herdenimmunität zu erlangen, müssten entweder 70–80 % der Bevölkerung die Erkrankung durchgemacht haben oder geimpft sein. Entscheidend ist, dass der Impfstoff sicher ist (keine gravierenden Nebenwirkungen hat) und die notwendige Immunantwort auslöst (effektiv ist). Zusätzlich zu Impfstoffen und Medikamenten, die helfen, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen, ist auch der Ansatz der Plasmatherapie vielversprechend.

Dr.in Connie Gaisbauer
Aktienanalystin (Health Care), Raiffeisen KAG/Raiffeisen Bank International AG

Dr. Connie Gaisbauer

Die wahre Herausforderung wartet aber möglicherweise erst mit der Zulassung, denn es werden Milliarden an Dosen benötigt werden. Die Bill & Melinda Gates Stiftung rechnet beispielsweise mit einem Minimum von 7 Milliarden Dosen. Um das in Kontext setzen zu können, sollte man wissen, dass der gesamte Impfstoffmarkt zurzeit ein Volumen von etwa 5 Milliarden Dosen umfasst, davon entfallen etwa 1,5 Milliarden auf Influenzavakzine.

Aber starten wir mit der Entwicklung des Impfstoffs. Grafik 1 zeigt, wie traditionelle Impfstoffe entwickelt werden. In Summe dauert dies im Schnitt 10–12 Jahre. Ein Schritt findet nach dem anderen statt. In der Phase 1 wird die Sicherheit des Impfstoffs untersucht und man versucht die richtige Dosis zu finden. In der Phase 2 wird das verfeinert und man wagt einen Blick auf die Effizienz. In der Phase 3 sollen die Ergebnisse in einer großen Gruppe an Probanden bestätigt werden. Für die Zulassung durch die Behörde ist die Nutzen-Risiko-Abwägung entscheidend.

 

Grafik 1: Erfolgswahrscheinlichkeit bei Impfstoffen in der klinischen Entwicklung

Grafik 1: Erfolgswahrscheinlichkeit bei Impfstoffen in der klinischen Entwicklung
Quelle: Raiffeisen Research, RKAG

Dieser Prozess würde im jetzigen Ausnahmeprozess aber zu lange dauern. Daher gibt es ein paar Faktoren und auch Kniffe, die hilfreich sind. Grafik 2 erklärt die geänderten Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung der Anforderung an die Produktion, unter denen die Zulassung rascher geschehen kann.

 

Grafik 2: Impfstoffentwicklung mit Turbo

Grafik 2: Impfstoffentwicklung mit Turbo
Quelle: Raiffeisen Research, RKAG

Zum einen werden deutlich früher deutlich mehr Patienten getestet, zum anderen wird so früh wie möglich versucht, Information zur Effizienz zu generieren. Dazu muss möglichst früh mit der Produktion des Vakzins begonnen werden. Jeder Tag, den ein Vakzin früher am Markt verfügbar ist, rettet Leben.

Welche Faktoren kommen noch dazu?

  • Viele Unternehmen haben bereits an Präparaten gegen MERS oder/und SARS gearbeitet und können nun auf diesem Wissen aufbauen. Das sind die Unternehmen, die bereits genug Sicherheitsdaten sammeln konnten und jetzt am Menschen testen können.
  • Eine noch nie da gewesene Bereitschaft von Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen zur Zusammenarbeit.
  • Arzneimittelzulassungsbehörden, die im Rekordtempo arbeiten (Emergency Use Authorization).

CEPI

Möglich macht die Fortschritte in der Impfstoffentwicklung auch die Vereinigung CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations). Diese Organisation, die erst 2017 beim Weltwirtschaftsforum in Davos gegründet wurde, stellt eine innovative Partnerschaft von öffentlichen, privaten, philanthropischen und zivilen Organisationen dar. Investoren sind Australien, Belgien, Kanada, Dänemark, Äthiopien, Finnland, Deutschland, Japan, Saudi-Arabien, die Niederlande, Norwegen, UK und die Schweiz sowie auch die Bill & Melinda Gates Stiftung und der Wellcome Trust. Die Europäische Kommission bietet ebenfalls substanzielle Beiträge, um mit ihrem Mechanismus relevante Projekte zu unterstützen. Dazu kommen Investitionen aus dem Privatsektor wie auch von Personen über den UN Foundation Covid-19 Solidarity Response Fund. Ziel ist die Finanzierung von Impfstoffen gegen zukünftige Epidemien. Darunter fielen bisher beispielsweise Viren wie MERS und Chikungunya. CEPI investiert auch in Plattformtechnologien, die für eine schnelle Entwicklung von Medikamenten gegen bisher unbekannte Pathogene (Disease X) genützt werden können. Fördermittel für ein Covid-19-Vakzin in Höhe von 4,9 Millionen USD hat unter anderem auch ein österreichisches Unternehmen (Themis Bioscience) in Zusammenarbeit mit dem Institut Pasteur und der University of Pittsburgh erhalten. Aktuell unterstützt CEPI auch Projekte für die Produktion von Impfstoffen gegen Covid-19.

Was bedeutet es, wenn man sich die Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 unter dem Blickwinkel Nachhaltigkeit ansieht? Kriterien wie Impfpflicht, Preis des Vakzins/Medikaments und Access to Medicine (Versorgung aller Menschen weltweit mit dem Präparat) sind Themen, die hier im Fokus stehen.

Impfpflicht: ein komplexes und vielschichtiges Thema, aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Im Fokus stehen die Risiko-Nutzen-Abwägung und die Frage der Alternativen. Zu Beginn werden voraussichtlich mit einer beschränkten Menge an Impfstoff die wichtigsten Gruppen (medizinisches Personal und bestimmte Risikopatienten) geimpft. Im nächsten Schritt ist die Frage, wie effizient und sicher der Impfstoff ist und welche Alternativen es gibt (wie z. B. Tests).

Preise: Es scheint sich ein Modell herauszukristallisieren, nach dem Unternehmen in der ersten Phase (Pandemie) günstiger oder beispielsweise zum Selbstkostenpreis die Präparate abgeben. In der zweiten Phase (nach der Pandemie) würden sich die Hersteller dann an den Preisen der Influenzapräparate (Impfstoff/Medikament) orientieren. Gilead möchte z. B. die ersten 1,5 Millionen Dosen Remdesivir (antivirales Medikament) spenden. Johnson & Johnson hat bereits zugesagt, einen Impfstoff in der Pandemie zum Selbstkostenpreis abgeben zu wollen.

Access to Medicine: Das Thema Impfstoffe spielt auch in den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN (SDGs) eine wichtige Rolle. Im Ziel Nummer 3 geht es um die Gesundheit, und hier bilden die Impfstoffe einen besonderen Schwerpunkt. Ziel ist die Versorgung aller Länder mit Impfstoffen. Durch die Globalisierung hat dieses Thema (Access to Medicine) deutlich an Bedeutung gewonnen.

Und auf welches Unternehmen sollten Investoren nun setzen? The winner takes it all? Da aus heutiger Sicht eine sehr große Menge an Impfstoffdosen benötigt wird, wird nicht nur ein Unternehmen davon profitieren. Unterschiedliche Plattformen werden zur Testung genützt und unterstützen damit auch den wissenschaftlichen Fortschritt in der künftigen Impfstoffforschung und -entwicklung.

Per 27. Mai 2020 befinden sich laut WHO zehn Impfstoffe in der klinischen Entwicklung, weitere 115 Kandidaten in der präklinischen Entwicklung. Von den zehn Kandidaten in den Phasen 1 und 2 wird die Hälfte von chinesischen Unternehmen/Instituten entwickelt.1

Diese Einschätzungen basieren auf den aktuell zur Verfügung stehenden Informationen (Stand 27. Mai 2020), diese können sich im Lauf der Entwicklung der Pandemie ändern.

Die nicht vorhersehbaren Anstrengungen und die gute Zusammenarbeit unter den forschenden Institutionen stimmen optimistisch. Wie auch immer sich die Corona-Pandemie entwickelt, die forschenden Unternehmen sollten auf jeden Fall die Entwicklung fortsetzen bis zu einem Punkt, an dem bei einem erneuten Ausbruch rasch die Emergency Use Authorization erteilt werden könnte.

Erfahren Sie mehr in unserem Nachhaltigkeitsmagazin NACHHALTIG INVESTIEREN – Ausgabe 28 zum Thema Gesundheit.

1 Quelle: https://www.who.int/who-documents-detail/draft-landscape-of-covid-19-candidate-vaccines