Round-Table-Diskussion über den Bodenverbrauch in Österreich und die notwendigen Maßnahmen, diesen zu reduzieren
Virtuelle Round-Table-Diskussion mit den Teilnehmern:
- Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender Österreichische Hagelversicherung
- Mag. (FH) Matthias Marhold, Geschäftsführer der Raiffeisen Immobilien KAG
- Univ.-Prof.in DIin Sibylla Zech, Institut für Raumplanung, Technische Universität Wien
- DIin Gundula Prokop, Expertin für Boden im Umweltbundesamt
Mag. (FH) Dieter Aigner
Geschäftsführer Raiffeisen KAG und Moderator der Diskussion

Dieter Aigner: Frau Prokop, das aktuelle Regierungsprogramm von Türkis-Grün verspricht „Gesunde Böden und eine zukunftsfähige Raumordnung“. Wie schaut es mit dem Bodenverbrauch in Österreich aus? Können Sie uns einen kurzen Überblick verschaffen?
Gundula Prokop: Wir liegen derzeit bei etwas mehr als zehn Hektar Flächeninanspruchnahme pro Tag. Im Jahr sind das etwa 40 Quadratkilometer. Die Zahlen sind seit 2010 erfreulicherweise rückläufig. Aber natürlich verbrauchen wir immer noch viel zu viel an Boden. Ziel wäre es, nicht mehr als 2,5 Hektar pro Tag zu verbrauchen, also neun Quadratkilometer pro Jahr. Das wollen wir bis 2030 erreichen. Neu ist, dass dies erstmals explizit in einem Regierungsprogramm steht, denn in dieser Deutlichkeit wurde das noch nie so festgelegt.
Welche Strategien gibt es, dieses Ziel zu erreichen?
Gundula Prokop: Derzeit wird an einer bundesweiten Bodenstrategie gearbeitet. Darin – das kann ich schon vorwegnehmen – wird auf zwei wesentliche Ziele fokussiert: erstens auf den besseren Schutz von Freiflächen, also landwirtschaftlichen Vorrangflächen und Naturschutz-Vorrangflächen, und zweitens auf die Reaktivierung von Brachflächen. Das größte Problem ist allerdings, dass der Bund hier wenige Kompetenzen und damit Durchgriffsrechte hat. Der Bodenverbrauch, den wir derzeit in Österreich haben, ist – bis auf wenige illegale Bauten – komplett legal. Der gesamte Prozess findet innerhalb des Rechtsrahmens statt, der vieles erlaubt, etwa in der Raumordnung und bei der Wohnbauförderung. Hier muss angesetzt werden, was politisch betrachtet keine Selbstläufer sind. Es ist schwierig, mit strengen Forderungen hinauszugehen.

DIin Gundula Prokop
Expertin für Boden im Umweltbundesamt
Wo findet der größte Bodenverbrauch statt?
Gundula Prokop: Unsere Wohlstandsgesellschaft hat wesentlichen Anteil am Bodenverbrauch. Statistisch betrachtet ist die Inanspruchnahme von Bauflächen für Wohnungen und Geschäfte am größten. Danach folgen die Betriebsflächen, die seit 2013 aber eine stark rückläufige Tendenz zeigen. Auch der Bodenverbrauch für den Straßenbau, der auf Platz drei liegt, geht insgesamt leicht zurück. Erst dann folgen Erholungs- und Abbauflächen sowie der von der Bahn beanspruchte Boden.
Frau Zech, Raumordnung ist Ländersache. Welche Probleme ergeben sich daraus aus Ihrer Sicht?
Sibylla Zech: Wir haben neun Ländergesetze in Österreich, die die Raumplanung regeln. Das ist grundsätzlich nicht anders als in anderen Staaten. Auch in Deutschland gibt es für jedes Bundesland ein eigenes Raumordnungsgesetz und in der Schweiz die Raumplanungsgesetze der Kantone. Aber im Unterschied zu Deutschland und der Schweiz gibt es in Österreich kein Rahmengesetz des Bundes. Und wir sehen, dass man sich in diesen Ländern, wo der Bund gewisse Durchgriffsrechte hat, leichter tut – wenn es beispielsweise um das Zweitwohnungswesen geht. In diesen Ländern gibt es auch Institutionen, die sich um die Raumordnung kümmern, wie beispielsweise das Amt für Raumentwicklung in der Schweiz, das unter anderem auch Strategien für Förderprogramme entwickelt. Solche Institutionen gibt es auch in Deutschland. Das ist etwas ganz Wichtiges und da ist man in Österreich jetzt auch bemüht, derartige Institutionen aufzubauen.
Univ.-Prof.in DIin Sibylla Zech
Institut für Raumplanung, Technische Universität Wien

Sie hegen die Hoffnung, dass sich der Bund künftig stärker einbringen wird?
Sibylla Zech: Ja, das zeigt sich auch im aktuellen Baukulturreport der Regierung, der derzeit ausgearbeitet wird. Dabei geht es um städte- und ortsbauliche Entwicklungen. Es geht um das Thema Bodensparen, aber auch um die Einbindung der Zivilgesellschaft in derartige Projekte. Der Bund kann schon einiges tun in Österreich. Und alleine die Tatsache, dass es die genannte Strategie geben wird, ist ein Zeichen dafür, dass sich der Bund künftig nicht mehr so vornehm zurückhalten möchte. Auch die Länder und Gemeinden geben mit ihren Förderprogrammen eine entsprechende Richtung vor.
Der Bund kann einiges tun. – Sehen Sie das auch so, Herr Weinberger?
Kurt Weinberger: Der Bund hat in der Raumordnungsthematik keine Kompetenzen. Das ist in der Bundesverfassung so festgelegt. Die Bundesverfassung regelt die Zuständigkeit der Raumordnung im Artikel 118 B-VG, diese ist im Wirkungsbereich der Gemeinde angesiedelt. Das heißt, für jede Flächenwidmungsplanabänderung ist die Gemeinde zuständig, was formalrechtlich zwar von den jeweiligen Ämtern der Landesregierung genehmigt werden muss, doch in der Regel ist das leider nur eine Formsache. Der Bund hat nur sogenannte Fachplanungskompetenzen, wenn es um Flächen für den Straßenbau, die Eisenbahn und den Bergbau geht. Die Zuständigkeit liegt ansonsten bei den Gemeinden, und das ist verfassungsrechtlich leider so gut wie nicht abänderbar, da man hier eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bräuchte, die man realistischerweise nicht bekommen wird.

Dr. Kurt Weinberger
Vorstandsvorsitzender Österreichische Hagelversicherung
Wo könnte man ansetzen?
Kurt Weinberger: Man müsste zum einen der Genehmigungspflicht der Länder mehr Zähne geben und zum anderen die Steuergesetzgebung ändern. Die Kommunalsteuer, die auf Gemeindeebene eingehoben wird und auf Basis der lohnabhängigen Beschäftigten in der Gemeinde berechnet wird, steuert falsch. Jetzt muss jeder Bürgermeister schauen, dass er seine Einnahmen auch aus dieser Steuerquelle lukriert, und das ist völlig kontraproduktiv. Denn so wird immer mit Arbeitsplätzen argumentiert. Aber was nützen die Arbeitsplätze, wenn das Leben in der Gemeinde nicht mehr lebenswert ist? Hier muss ein Umdenken stattfinden. Es kann nicht nur um Arbeitsplätze gehen, sondern es muss auch um eine intakte Natur gehen, denn von Beton kann bekanntlich keiner abbeißen.
Österreich steht im EU-Naturschutz-Ranking mittlerweile auf dem vorletzten Platz.
Welchen Anteil hat die Landwirtschaft an der Bodenversiegelung?
Kurt Weinberger: Der Landwirtschaft wird oft die Schuld an der abnehmenden Biodiversität gegeben. Aber Fakt ist, dass Österreich die höchste jährliche Verbauungsrate, das dichteste Straßennetz, die höchste Supermarktfläche pro Kopf etc. Europas hat. Das alles hat Auswirkungen auf die Umwelt. Österreich steht im EU-Naturschutz-Ranking daher mittlerweile auf dem vorletzten Platz. Das muss man sich einmal vor Augen halten. Rund 80 % der bewerteten Arten und Lebensräume in Österreich sind in keinem guten Zustand und so hat sich der Bestand der Artenvielfalt in der Fauna in den letzten 30 Jahren um 70 % reduziert. Auch im Klimaindex verliert Österreich von Jahr zu Jahr Plätze. Uns fehlt das Sensorium dafür, was der Boden ist. Der Boden braucht nicht uns, sondern wir brauchen den Boden. Er ist unsere Lebensgrundlage, er sichert die Lebensmittelversorgung, er bietet Erholungs- und Lebensraum für Mensch und Tier und trotzdem töten wir diesen Lebensraum in einem Rekordtempo. Von den drei volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital spielt der Boden heute in der Gewichtung leider keine Rolle mehr. Er wurde einfach durch das Kapital ersetzt – eine völlige Fehlentwicklung.
Am Stadtrand von Wien schießen großvolumige Bauten aus dem Boden und angeblich rückt Wien auch immer stärker in den Fokus großer internationaler Investmentfirmen. Wie stellt sich das Thema aus der Sicht eines Immobilieninvestors dar? Gibt es in Bezug auf Nachhaltigkeit überhaupt Handlungsspielraum in der Branche? Wird jetzt – im Sinne der Verdichtung – in die Höhe gebaut?
Matthias Marhold: Es gibt einen Handlungsspielraum, aber am Ende muss man schon so ehrlich sein, dass wir als Immobilienentwickler ergebnisgesteuert sind. Hier einen Bogen zu spannen, ist die große Kunst, die nicht immer gelingt. Was die Bauprojekte betrifft, so entstehen dort, wo Urbanisierung stattfindet, wo Menschen in die Städte strömen, entsprechende Bauten, Büro- und Gewerbeentwicklungsprojekte. Wobei das Thema der Wohnraumentwicklung im städtischen Bereich differenziert zu sehen ist. Das Thema Nachhaltigkeit ist aber auf jeden Fall auch in unserer Branche angekommen. Das zeigt sich alleine in umfassenden Gesetzen, Verordnungen und Initiativen – sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene. Jeder Investor beschäftigt sich heute mit dem Thema. Wir tun das schon etwas länger und achten bei unseren Investments auf ein möglichst nachhaltiges Vorgehen. So sind wir zum Beispiel dabei, unser gesamtes Portfolio gemäß DGNB-Standard zu zertifizieren, und setzen uns Ziele, die Nachhaltigkeit der Objekte in den kommenden Jahren laufend zu verbessern. Darüber hinaus wird jedes neue Investment im Hinblick auf Nachhaltigkeit ebenfalls einer entsprechenden Prüfung unterzogen.
Mag. (FH) Matthias Marhold
Geschäftsführer der Raiffeisen Immobilien KAG

Wo kann man hier ansetzen?
Matthias Marhold: Beispielsweise in Bezug auf Verdichtung. Gerade vor kurzem haben wir ein Projekt auf einem bereits versiegelten Grundstück mit vier Wohneinheiten gekauft. Dort sollen jetzt 45 Wohneinheiten entstehen. So etwas wird schon in der Planung berücksichtigt und der Trend in diese Richtung setzt sich fort – natürlich auch durch Normen und Vorschriften getrieben. In Graz entwickeln wir aktuell ein Projekt, wo ein mehrgeschossiges Wohngebäude mit 134 Wohnungen auf einem innerstädtischen Grundstück errichtet wird. Dieses wurde bislang für einen eingeschossigen Autoservice genutzt. Wir setzen Nachhaltigkeitsmaßnahmen vom Bodenaustausch über Errichtung einer Photovoltaikanlage auf dem Dach bis hin zu einem Mobilitätskonzept für alle Mieter mit der Stadt Graz. Ich bin überzeugt, dass es im Bereich Nachhaltigkeit zu massiven Änderungen kommen wird. Fakt ist, dass sich die Branche in einem Wandel befindet, stark getrieben durch institutionelle Investoren, die über entsprechendes Kapital verfügen. Wenn wir uns anschauen, was hier in Österreich, und da vor allem in Wien, passiert, dann sind die großen Projekte sehr stark von institutionellem Geld getrieben. Das sind aber genau die, die jetzt sehr stark verpflichtet werden, Maßnahmen und Aktivitäten zu setzen.
Gundula Prokop: Ich glaube, die Angst, dass in Wien nur noch Hochhäuser gebaut werden, um den hohen Wohnraumbedarf zu stillen, ist unbegründet. Man muss hier schon sehr stark trennen zwischen dem tatsächlichen Wohnbedarf und Investitionsprojekten. Denn gebaut wird überall dort, wo die Grundstückspreise sehr hoch sind. Diese Bauten werden dann aber nicht sehr effizient genutzt, weil sie eben ganz einfach Spekulationsobjekte sind.
Matthias Marhold: Die Spekulationen und der hohe Leerstand sind ein ganz massives Problem, nicht nur in Wien, sondern auch in vielen anderen Städten und Ländern, dem man gesamthaft entgegenwirken muss. Die Immobilien KAG kommt als Investor da aber aus einer anderen Ecke. Wir legen großen Wert darauf, dass die Wohnungen vermittelt und genutzt werden.
Kurt Weinberg: Laut Schätzungen des Umweltbundesamtes haben wir in Österreich ca. 40.000 Hektar an leerstehenden Immobilien. Das ist eine Fläche so groß wie Wien. Hier muss man Anreize schaffen, damit Altbestände revitalisiert und wieder in den wirtschaftlichen Nutzen gebracht werden. Auf der anderen Seite zerstören wir die Natur, damit einige wenige profitieren können. Den Preis dafür bezahlen aber die Gesellschaft und künftige Generationen. Ich spreche hier auch bewusst das Thema der Gewinne aus Immobilienverkäufen an. Wenn Bauland vor 1987 gewidmet wurde, dann bezahlt der Grundeigentümer beim Verkauf nur 4,2 % des Ertrages an Steuern. Wo gibt es das denn noch? Wenn ich heute als Dienstnehmer mehr als 11.000 Euro verdiene, bin ich sofort in der Lohnsteuerprogression mit 20 %, und diese Menschen bekommen bei Altwidmungen Millionenerträge so gut wie steuerfrei! Bei späteren Widmungen sind es 30 %, was richtig war, doch diese Schieflage gibt es noch immer.
Gundula Prokop: Ich muss Herrn Weinberger völlig recht geben. Wenn Sie heute als Investor zum Beispiel einen neuen Supermarkt bauen wollen, bekommen Sie ein einwandfreies Betriebsgrundstück zu einem günstigen Preis und können Ihre Immobilie dort entwickeln, wie Sie wollen. Wenn Sie aber ein innerstädtisches Grundstück nehmen, dann müssen sie mit diversen Auflagen hinsichtlich Form, Lärmschutz und vielem mehr rechnen. Solange die Innenentwicklung umständlicher ist als die Außenentwicklung, wird sich der Trend nicht ändern. Bis Jahresende soll es eine Anreizförderung für industrielle und gewerbliche Brachflächen geben. Ich hoffe, dass das ein Impuls sein wird. Aber da muss noch viel mehr passieren. Auch bei der Wohnbauförderung könnte man ansetzen.
Es geht da um 700.000 leerstehende Wohnungen in Österreich ohne Hauptwohnsitz.
Sibylla Zech: Der Leerstand im baulichen Bestand hat wirklich eine enorme Dimension. Es geht da um 700.000 leerstehende Wohnungen in Österreich ohne Hauptwohnsitz. Das ist bei insgesamt 4,9 Millionen Wohnungen eine gigantische Anzahl. Wir haben in vielen Gemeinden 30 bis 40 % Baulandreserven, die oft in günstiger zentraler und gut erschlossener Lage vorliegen. Der Umgang mit Bestandswidmungen ist ein massives Problem. Es ist in den letzten Jahren noch viel schwieriger geworden, weil die Eigentümer Lobbying betreiben und die Raumordnungsgesetze schwächer geworden sind. Bei den Neuwidmungen gibt es viele Instrumente, die man einsetzen kann, um eben auch zu einer vernünftigen Dichte zu kommen – zumindest beim Wohnen und bei der Mischnutzung. Im Gewerbe schaut es nicht so gut aus. Ich sehe da schon auch eine Verantwortung bei den Banken, Investitionen in Liegenschaften nur dann zu finanzieren, wenn diese einen ökologischen und sozialen Mehrwert schaffen. Dadurch könnten auch die Banken dazu beitragen, das verdichtete Bauen und das Revitalisieren ehemaliger Industrieflächen zu fördern.
Welche möglichen Anreizsysteme halten Sie – in die Runde gefragt – für erfolgversprechend?
Gundula Prokop: Anreize werden nicht ausreichen. Langfristig betrachtet, müssen wir eine Situation erreichen, wo der Bodenverbrauch kompensiert werden muss. In Deutschland hat man mit der Kompensationsverordnung vor zehn Jahren – zumindest bei großen Projekten – damit angefangen. Langfristig wäre es eine Lösung, wenn Versiegelung kompensiert werden müsste. Dann würde man sich automatisch überlegen, ob und wie viel Parkplatzfläche man wirklich braucht. Vielleicht wird dann auch kompakter gebaut. Das wäre letztlich der beste Hebel für einen sparsamen Umgang mit Grund und Boden.
Sibylla Zech: In Hinblick auf die Raumstruktur gibt es zwei Bereiche mit starkem Handlungsdruck: die angesprochenen Handelsagglomerationen an den Stadträndern und die großflächigen Einfamilienhausgebiete. Bei Handelsagglomerationen braucht es restriktive Vorgaben seitens der Länder in den Raumordnungs- und Baugesetzen. Die jüngeren Landesentwicklungsprogramme etwa in Oberösterreich zeigen, dass die Gesetze und Verordnungen langsam mehr Zähne bekommen. In Niederösterreich ist Ähnliches in Ausarbeitung. Hier braucht es eine restriktive Haltung, da kommen wir mit Förderungen allein nicht weiter. Bei den großflächigen Einfamilienhausgebieten geht es um maßvolles Verdichten. Oft leben nur noch ein oder zwei Personen in einem großen Haus, sodass die Erhaltung von Haus und Garten kaum mehr zu schaffen ist. Da ist eine soziale Ausdünnung im Gange und es geht auch um die Frage, wie diese Einfamilienhausgebiete transformiert werden können. Das ist ein baulicher, aber auch ein sozialer Prozess. Das braucht Begleitung. Es gibt spannende Modelle, etwa von Häuserpooling, Gassenclubs oder Quartiersberatung. Mit maßvoller Nachverdichtung innen kann der Druck auf die „grüne Wiese“ draußen reduziert werden.
Jeder, der Naturkapital zerstört und Lebensraum vernichtet, sollte eine Abgabe bezahlen müssen.
Kurt Weinberger: Allein in den letzten 25 Jahren haben wir 150.000 Hektar aus der landwirtschaftlichen Fläche herausgenommen und verbaut. 150.000 Hektar! Das ist so viel wie die gesamte Agrarfläche des Burgenlands. Was wir brauchen, ist ein Maßnahmenmix. Auch wenn der Bund beim Thema Fläche nichts zu sagen hat, könnte er zumindest die besten Agrarflächen unter Schutz stellen. Das bedeutet, dass man dort nicht bauen kann. Natürlich ist das ein deutlicher Eigentumseingriff. Aber im Sinne des öffentlichen Interesses die Lebensmittelversorgungssicherheit zu garantieren wäre bundesverfassungsrechtlich durchaus argumentierbar. Die zweite Maßnahme betrifft die Kommunalsteuer. Diese Steuer gehört auf Bundesebene eingehoben und dann wie andere Bundessteuern auf dem Weg des Finanzausgleichs an die Gemeinden verteilt und an gewisse Erfolgsparameter gebunden. Auch die Tatsache, dass Straßenbauten grundsteuerfrei sind, zeigt, wie verrückt das gesamte System ist. Hier bräuchte es mehr Gerechtigkeit. Jeder, der Naturkapital zerstört und Lebensraum vernichtet, sollte eine Abgabe zahlen müssen. Das wird den Immobilieninvestoren natürlich nicht gefallen, weil sie nur auf die Maximierung ihrer Gewinne aus sind. Aber das alles geht zulasten künftiger Generationen und das ist grob fahrlässig.
Nur daran zu glauben, dass wir alle Gutmenschen sind, wird unsere Kinder- und Enkel-Generation in ein Desaster treiben.
Matthias Marhold: Das Thema wird mit sehr vielen Emotionen diskutiert, weil jeder betroffen ist. Meiner Meinung nach braucht es sowohl Anreize als auch Sanktionen. Von der Spieltheorie kennen wir das Thema Egoismus. Der Mensch ist ein Egoist, der sich gerne zulasten anderer optimiert. Und ohne stringente Vorgaben und Sanktionen werden wir das Ziel einer maximalen Flächeninanspruchnahme von 2,5 Hektar pro Tag nicht erreichen. Kaum geht ein Schlupfloch auf, wird dieses genutzt, um wieder zu optimieren. Ich glaube, es wird nicht möglich sein, die Kompetenzen auf Gemeindeebene zu lassen. Das ist ein verlorener Kampf. Am Ende des Tages ist der Bürgermeister davon getrieben, seine Gemeinde zu entwickeln, und wird im Zweifel Gewerbefläche widmen, weil die Steuern gebraucht werden. Es braucht ganz klare Vorgaben. Nur daran zu glauben, dass wir alle Gutmenschen sind, wird unsere Kinder- und Enkel-Generation in ein Desaster treiben.
Kurt Weinberger: Wenn sich in einem marktwirtschaftlichen System die Moral nicht rechnet, findet sie offensichtlich nicht statt. Die Gesellschaft muss unmoralisches Verhalten, wie die Zerstörung der Natur, bestrafen. Das Primat der Ökonomie vor der Ethik ist daher grundsätzlich zu diskutieren, denn das ist ohne Sanktionen. Der Boden ist ein Wunderwerk. Der Boden ist Leben. Und jeder, der Boden zerstört, zerstört auch das Leben, das sich im Boden befindet – 8 Milliarden Lebewesen in jeder Hand voll Erde. Als Familienvater wünsche ich mir, dass die Kinder auch künftig in der Bundeshymne „Land der Äcker, zukunftsreich“ singen können, und nicht „Land ohne Äcker, zukunftslos“. Das müssen wir in die Denke der Entscheidungsträger dieses Landes hineinbekommen und wir dürfen nicht nachgeben. Wir haben alle eine Verantwortung für künftige Generationen.
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Fotos: Pia Morpurgo, ÖHV, Umweltbundesamt