Round-Table-Diskussion zum Thema Plastik
Unter der Moderation von Dieter Aigner, dem Geschäftsführer der Raiffeisen KAG, diskutieren Tanja Dietrich-Hübner, Leiterin für Nachhaltigkeit bei Österreich – REWE International AG, Michael Huber, Fondsmanager in der Raiffeisen KAG, Christian Pladerer, Vorstand des Österreichischen Ökologie-Instituts, und Doris Ribitsch, Leitung Molekularbiologie am Institut für Umweltbiotechnologie an der BOKU Wien, über die Herausforderungen rund ums Thema Plastikvermeidung und -reduktion.

Mag.a Tanja Dietrich-Hübner
Leiterin für Nachhaltigkeit bei Österreich – REWE International AG
Das Thema Kunststoffvermeidung bzw. -reduktion bei Verpackungen ist bei näherer Auseinandersetzung durchaus komplex und wird von vielen unterschiedlichen Interessengruppen mitbestimmt. Wo stehen wir und was können wir im Sinne der Nachhaltigkeit in diesem Bereich tun?
Tanja Dietrich-Hübner: Der Lebensmitteleinzelhandel und speziell wir als Marktführer sind beim Thema Verpacken mit sehr hohen Erwartungen konfrontiert. Das „BILLA-Sackerl“ war lange Zeit ein bekanntes Markenzeichen von uns. Und diese festen Plastiktragetaschen gibt es mittlerweile nicht mehr. Obwohl wir damals schon einen Anteil an Recyclat von 80, 90 Prozent hatten. Heute stehen die dünnen Kunststoffsackerl für Obst und Gemüse in der Diskussion. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, wenn wir von Plastikvermeidung und -reduzierung reden. Die wirklichen Hebel liegen woanders. Sinnvolle Lösungen hinsichtlich Ökologie, gesellschaftlicher Verträglichkeit, aber auch Wirtschaftlichkeit zu finden, ist eine hohe Kunst. Das betrifft nicht nur das Verpacken, sondern generell Lebensmittel.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Tanja Dietrich-Hübner: Wir haben letztes Jahr eine Einweg-Milchflasche aus Glas auf den Markt gebracht. Das hat viele Diskussionen – auch bei uns im Unternehmen – ausgelöst, weil auch wir lieber eine Mehrwegflasche auf den Markt gebracht hätten. Doch gab es in Österreich keinen Anbieter dafür, sodass wir nach Bayern hätten ausweichen müssen. Das wollten wir nicht. Nun hat einer unserer Partner im Molkereibereich in eine derartige Produktlinie investiert und wir werden im nächsten Jahr auf Mehrwegflasche umstellen. Dahinter stehen enorme Investitionen und das ist dünnes Eis, auf dem wir uns bewegen, denn wir wissen noch nicht, ob unsere Kundinnen und Kunden das annehmen werden. Wir dürfen nicht glauben, dass mehr Nachhaltigkeit nichts kosten wird. Unternehmen müssen oft in Vorleistung treten und sich aus dem Fenster lehnen.
DI Christian Pladerer
Vorstand des Österreichischen Ökologie-Instituts

Das Österreichische Ökologie-Institut analysiert unter anderem auch den Restmüll von Haushalten. Welche Rückschlüsse lassen sich daraus ableiten?
Christian Pladerer: Wir analysieren z. B. im Auftrag von Kommunen und Unternehmen die Zusammensetzung des Restmülls. Dabei ist seit vielen Jahren eines auffällig: Es ändert sich wenig. Der Restmüll besteht zu 30 % aus biogenem Material. Ein großer Teil davon sind Lebensmittelabfälle und sogar vermeidbare Lebensmittelabfälle. Also Abfälle, die noch genussfähig gewesen wären. Sie landen im Müll, weil zu viel eingekauft wurde, vielleicht ein Urlaub angestanden ist, sich Lebensgewohnheiten verändert haben oder das Mindesthaltbarkeitsdatum kurz überschritten war. Es gibt aber einen hohen Anteil an Wertstoffen im Restmüll: Papier- und Kunststoffverpackungen sowie Glas- und Metallverpackungen. Wenn man sich den Restmüll von Bregenz bis Eisenstadt anschaut, bleiben ungefähr 30 % tatsächlicher Restmüll übrig, der im Restmüll ist.
Treten wir beim Müll auf der Stelle?
Christian Pladerer: In Österreich gibt es seit rund 30 Jahren geregelte Abfallwirtschaft, mit einem Abfallwirtschaftsgesetz und einer Verpackungsverordnung. Wir haben uns auch darauf konzentriert, die Deponien in den Griff zu bekommen. Es gibt eine geregelte Müllabfuhr, getrennte Abfallsammlung und eine stoffliche Verwertung. Global betrachtet sind wir unter den Spitzenreitern in Bezug auf Abfallmanagement. Und trotzdem: Der Müll steigt. Der gesamte Müll ist in Österreich von 2009 bis 2016 um 14 % gestiegen. Der Restmüll steigt weiterhin. Das haben wir nicht gut hinbekommen. Obwohl wir seit 30 Jahren darüber reden, dass wir Abfall vermeiden wollen. Auch bei uns ist nicht alles eitel Wonne. Wir haben viel Aufholbedarf auch bei der Mülltrennung. Vor allem im Kunststoffbereich.

Dr.in Doris Ribitsch
Leitung Molekularbiologie am Institut für Umweltbiotechnologie an der BOKU Wien
Wissenschaft und Forschung leisten wichtige Beiträge, wenn es um innovative Lösungen zum Abbau von Kunststoffmüll geht …
Doris Ribitsch: Lange Zeit war man der Meinung, dass es überhaupt nicht möglich ist, dass Kunststoffe, die von der chemischen Struktur her völlig unnatürlich sind, natürlich abgebaut werden können. Wir haben aber Mikroorganismen, Enzyme, gefunden und isoliert, die das können. Fündig geworden sind wir auf dem Komposthaufen: Denn Tomaten, Äpfel usw. haben eine wachsartige Haut, und das ist auch nichts anderes als ein Polyester – zwar strukturell anders aufgebaut, aber doch. Wir haben dann nach Mikroorganismen, z. B. Pflanzenpathogenen, gesucht, die diese Früchte angreifen können, und sie auf Kunststoffen getestet. Tatsächlich hat sich Aktivität gezeigt. Nun gibt es in der Natur nicht exakt den Stoff „PET“, sondern nur einen sehr ähnlichen Stoff, eben das Cutin. Da es nicht ganz ident ist, ist es auf unseren Kunststoffen nicht so aktiv wie auf den Polymeren aus der Natur. Wir versuchen daher, diese Enzyme zu verbessern, damit sie auch industriell eingesetzt werden können. Da sind wir auf einem guten Weg.
Kann das unser Problem lösen?
Doris Ribitsch: Das kann ich nur mit einem Jein beantworten. Weil es so viele Kunststoffe und Anwendungen gibt, und wir haben nicht für alles eine Lösung. Aber die drei „R“ – Reduce, Reuse und Recycle – Reduzieren, Wiederverwenden und Recyceln –, die würden uns um einen ganzen Schritt voranbringen.
Christian Pladerer: Ich würde diese Liste sogar noch erweitern um die Begriffe Rethink, Refuse – man muss nicht alles produzieren oder konsumieren – und um Redesign, also die Verpackung und Produkte so gestalten, dass man sie wiederverwenden und damit in eine Kreislaufwirtschaft bringen kann.
Mag. Michael Huber
Fondsmanager in der Raiffeisen KAG

Welcher Beitrag kommt seitens der Investoren?
Michael Huber: Wir schauen uns die Unternehmen in Bezug auf ihren Umgang mit Müll und Müllvermeidung genau an und arbeiten hier mit externen Research-Agenturen zusammen, die uns die Daten liefern. Uns ist dabei auch die Entwicklung eines Unternehmens wichtig, z. B. ob es eine Verbesserung gibt. Die Datenqualität spielt dabei eine bedeutende Rolle. Da hat sich in den letzten Jahren aus unserer Sicht sehr viel Positives getan. Den Unternehmen ist bewusst, dass immer mehr Investoren auf Nachhaltigkeit schauen. Da sehen wir einen positiven Trend, und wir versuchen durch unser Investment einen positiven Impact zu erzeugen. Was das Thema Kunststoffverpackung betrifft, so muss man die Dinge schon wahrheitsgetreu diskutieren: Der weltweite Verbrauch an Plastikverpackungen beträgt jährlich 78 Millionen Tonnen. 32 % davon landen in der Natur bzw. im Meer. 40 % auf Mülldeponien, 14 % werden verbrannt und nur 14 % werden recycelt. Da muss etwas passieren. Da sind die Unternehmen verantwortlich, da ist die Politik verantwortlich und natürlich auch wir Konsumenten.
Unser Ziel ist, den Unternehmen unsere Sichtweise zu vermitteln und einen positiven Impact zu erzielen.
Aber auch, Erträge zu erwirtschaften.
Michael Huber: Ja natürlich. Wir haben keine rosarote Brille auf. Wir wollen für unsere Kunden Geld verdienen und können das anhand unserer Performancezahlen auch schlüssig darlegen. Wir zeigen, dass das Thema auch finanziell etwas bringt und es eine zweite ökologische und soziale Rendite gibt.
Müllsammlung und -trennung sind pro Bundesland ganz unterschiedlich organisiert. Wird hier seitens der Politik genug getan?
Christian Pladerer: Es gibt einen Unterschied zwischen urbaner und regionaler Abfallwirtschaft. Es ist auch in Zahlen belegbar, dass die Müllmengen pro Kopf in Wien, Linz und Graz usw. höher sind als im ländlichen Bereich. Einiges ist darauf zurückzuführen, dass die Sammelstrukturen und -intervalle anders sind. Schlusslicht ist Wien. Weil die Infrastruktur in Wien so ist, dass es in den Häusern maximal eine Altpapiertonne zur Restmülltonne gibt.
Michael Huber: Wird in Wien weniger gesammelt, weil man weiß, dass der Müll verbrannt wird? Und dann hört man ja auch noch, dass Kunststoff zugefügt wird, damit der Brennwert stimmt …
Christian Pladerer: Das ist eine Legende, die sich seit Jahren hält. Da wird kein Kunststoff zugefügt. Die Mülltrennung wird sich in den nächsten Jahren aufgrund der europäischen Gesetzgebung massiv verändern. Wir haben Recycling-Ziele, die wir vor allem im Kunststoffbereich bei weitem nicht erfüllen. Das heißt, wir brauchen dann eine massive Steigerung der Sammlung, um überhaupt zum Recycling zu kommen. Zusätzlich gibt es eine 90 %-Sammelquote für PET-Getränkeflaschen. Die müssen wir auch erfüllen. Das geht nur mit einem Einwegpfand. Das funktioniert bereits in Deutschland, Kroatien, Norwegen und vielen anderen EU-Ländern, wo die Sammelquoten bei etwa 95 % liegen. Gleichzeitig muss man aber das Mehrwegsystem unterstützen. Hier sind gesetzliche Regelungen wie eine Mehrwegquote auf der Handelsebene zielführend.
Tanja Dietrich-Hübner: Als Händler stehen wir einem Pfand kritisch gegenüber. Weil hier einerseits hohe Investitions- und Betreibungskosten entstehen, anderseits es kein ganzheitliches Paket darstellt. Da geht es nicht nur darum, die Automaten umzustellen, sondern da braucht es auch Mitarbeiter, die das manipulieren müssen, und eine Logistik, die ausgebaut werden muss. Auch ist mehr Lagerfläche in den Filialen notwendig. Der österreichische Lebensmitteleinzelhandel wird hier sehr stark für ein gesamtgesellschaftliches Thema in die Pflicht genommen.
Mag. (FH) Dieter Aigner
Geschäftsführer der Raiffeisen KAG

Welche konkreten Einsatzgebiete gibt es im Bereich Biotechnologie?
Doris Ribitsch: Gute Einsatzmöglichkeiten sehen wir – und hier haben wir auch schon ein Patent angemeldet – im Textilbereich. Denn viele Textilien bestehen aus Fasergemischen mit beispielsweise Baumwolle, Polyester und Elasthan, die man mechanisch nicht mehr voneinander trennen kann. Durch den Einsatz von Enzymen ist die Auftrennung jedoch möglich. Da stehen wir vor großen Herausforderungen. Auch der Biomüll ist ein geeignetes Einsatzgebiet. Man glaubt es kaum, aber im Biomüll ist viel Plastik, das Reaktionen in der Biogasanlage verhindert. Unsere Enzyme können das Plastik aufbrechen, sodass der Müll entsprechend verarbeitet werden kann. Wir müssen trotzdem reduzieren und bewusster mit Kunststoff umgehen.
Wäre ein Anreizsystem sinnvoll, damit in der gesamten Wertschöpfungskette möglichst wenig Verpackungsmaterial anfällt?
Tanja Dietrich-Hübner: Anreizsysteme sind immer gut. Als Pionier wird man leider nicht immer belohnt, im Gegenteil: Man trägt oft die hohen Kosten. Mit entsprechenden Anreizen könnten Pionierleistungen über einen finanziellen Mehrwert oder anders belohnt werden. Förderungen sind dabei sehr hilfreich.
Christian Pladerer: Ein Beispiel, wo es ohne Eingreifen und ohne Anreizsysteme funktioniert, sind Transportverpackungen, die grünen, roten bzw. braunen Kisten für Obst, Gemüse, Fleisch und Brot. Das System rechnet sich, ist ökologisch besser, und siehe da: Es funktioniert!
Tanja Dietrich-Hübner: Da muss ich etwas dagegensetzen: Hier waren und sind hohe Investitionen und Betreiberkosten notwendig. Die Kisten müssen ausgewaschen werden. Man benötigt in den Logistikzentren Waschanlagen, damit sie so gereinigt werden, dass sie für Lebensmitteltransport geeignet sind. So entstehen natürlich Kosten und außerdem gefallen nicht allen diese Kisten im Vergleich zu den optisch ansprechenderen Kartonverpackungen. Ein anderes Thema ist die Hygieneverordnung: Die Lebensmittelsicherheit wird mittlerweile so groß geschrieben, dass sie mitunter einer Religion gleicht und so beispielsweise der Mehrwegdiskussion im Weg steht. Ein anderes Stichwort ist die Mitnahme von eigenem Geschirr durch Kunden, um Wurst oder Käse zu verpacken. Wir haben das jetzt möglich gemacht, aber es war extrem aufwendig. Mit einem ganz genau definierten Prozess halten wir nun die strengen Hygienevorschriften ein und gleichzeitig kann man Verpackung einsparen. Aber es bleibt das Risiko, dass durch eine nicht ganz saubere Box die Ware schneller verdirbt und die Kunden sich dann bei uns beschweren.
Welche Unternehmen sind aus Investorensicht interessant?
Michael Huber: Wir investieren in innovative Unternehmen, die führend in der Abfallwirtschaft bzw. in der Kreislaufwirtschaft sind. In Österreich ist das die Lenzing AG, die Naturfasern produziert. Etwa ein Drittel des Mikroplastiks entsteht über die Textilindustrie. Durch das Waschen der Bekleidung kommen die Kunststofffasern ins Abwasser. In den Emerging Markets werden nur 8 % der Abwässer überhaupt gereinigt. Und da ist die Frage, ob sie über die Kläranlage gefiltert werden. Die Bekleidungsindustrie hat einen wesentlichen Anteil an der Verschmutzung der Meere und da reden wir nicht über das sichtbare Plastik, sondern über das, was man nicht sieht. In der Papierverpackungsindustrie investieren wir in Mondi, die vorbildlich ist in der Beschaffung des Rohstoffes Holz. Wobei man auch hier kritisch bleiben muss, denn wenn alles in Richtung Papier geht, haben wir ein Problem mit der Abholzung. Tomra ist ein Unternehmen, das Rücknahmeautomaten produziert. Auch dieses Geschäftsfeld finden wir unterstützenswert.
Gefühlt ist Österreich Weltmeister, wenn es um das Thema Mülltrennung geht. Das Bild hat sich ein wenig eingetrübt, es gibt noch viel zu tun. Wo stehen wir im Jahr 2030 – im besten Fall?
Tanja Dietrich-Hübner: Ich bin optimistisch, dass durch neue Technologien nachhaltigere Verpackungen in den Markt kommen. Aber auch dass wir Konsumentinnen und Konsumenten bewusster einkaufen und mehr Wert auf nachhaltige Produkte und umweltfreundlichere Verpackungen legen.
Christian Pladerer: Positiv wäre, wenn die Kreislaufwirtschaft im Sinne einer richtigen Kreislaufwirtschaft ernst genommen wird und wir nicht nur über Recycling sprechen, das heißt, nicht nur das Material, sondern das Produkt selbst, als Verpackung, als Mehrwegsystem im Kreislauf führen. Produkte müssen daher auch so designt werden, dass sie im Kreislauf geführt werden können. Es macht keinen Sinn, Schadstoffe im Kreislauf zu führen.
Doris Ribitsch: Ein großes Problem ist das Mikroplastik, das mittlerweile überall zu finden ist. Die Vermeidung von Mikroplastik ist daher enorm wichtig. Mikroplastik entsteht hauptsächlich durch Plastik, das in die Umwelt gelangt ist, oder beim Waschen von synthetischen Textilien. Es wird daher wichtig sein, auch neue Materialien zu entwickeln, die weniger Mikroplastik verursachen bzw. bioabbaubar sind. Die generelle Reduktion unseres Plastikkonsums steht jedoch an erster Stelle.
Michael Huber: Wir sehen, dass in den Unternehmen viele neue Ideen entstehen und das Thema angekommen ist. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir Vorbild sein müssen und unsere Expertise in der Abfallwirtschaft so rasch wie möglich in die Länder bringen müssen, wo die großen Abfallmengen in der Natur landen.